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von Wolfgang Wiedenhöfer

Von der stolzen Stadt Waiblingen, in der Chronist Frischlin um 1614 noch „…dermassen schöne Häuser und Gebäude…“ fand, dass er sich verwundert fragte „…woher sie solche Baukosten hergenommen haben…“, war nach der Katastrophe des Stadtbrandes von 1634 nichts als ein großer Trümmerberg geblieben. In den Ruinen hauste das menschliche Treibgut der Kriegsheere, die über Jahre immer wieder durch die Region gekommen waren. Zacher schreibt über Waiblingen in den ersten Jahren nach dem Krieg: „…Die arme Stadt glich einer Mördergrube, durch die bei Nacht kein fremder Mann durchzureisen wagte. Uhu und Eulen bauten ihre Nester, Füchse und Hasen hegten ihre Jungen, die zum Teil gefangen und verzehrt wurden.“ Nur wenige Gebäude, wie die Bürgermühle und das Gerberhaus Weingärtner Vorstadt 20, das heutige Haus der Stadtgeschichte, hatten dem Feuersturm getrotzt. Die Stadttore und große Teile des Mauergangs der Stadtbefestigung waren stark beschädigt, die Michaels- und auch die Nikolauskirche hatten Dach und Innenausstattung verloren und von den Wohnhäusern, Scheuern und Verwaltungsgebäuden standen nur noch einige steinerne Sockel und Kellerportale.

Der Wiederaufbau der zerstörten Stadt beginnt um 1638. Wolfgang Zacher, der von Herzog Eberhard III. nach Ende des Dreißigjährigen Krieges eingesetzte Vogt, errichtet als eines der ersten Gebäude am Markplatz sein Wohnhaus. Viele Dörfer und Weiler in Württemberg sind durch die Kriegseinwirkungen zerstört und unbewohnt, folglich bot sich den Bauherren in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts die Möglichkeit, die leerstehenden Häuser aus den entvölkerten Flecken aufzukaufen, abzutragen und als Baumaterial beim Wiederaufbau zentraler Verwaltungssitze wie Waiblingen einzusetzen. So wurden die Dächer der Waiblinger Kirchen und mehrere Wohnhäuser und Scheuern in der heutigen Langen Straße mit Hölzern erbaut, die von Häusern aus Korb, Hohenacker, Neckarrems und Schmiden stammten.

Obwohl schnell eine rege Bautätigkeit einsetzt, sind von den ehemals über 420 Gebäuden innerhalb des Mauerrings um 1710 erst 260 wieder errichtet. Insbesondere die wohlhabende Familie Weysser, die bis 1702 über mehrere Generationen Verwaltungsbeamte in Württemberg und einen Bürgermeister in Waiblingen stellt, tut sich mit dem Bau gleich mehrerer Häuser hervor.

Bild: Detail "Feldmes-Haus" Schmidener Str. 11 (Foto Wiedenhöfer)

Wachsender Wohlstand zeigt sich um 1700 im Aufkommen von Schmuckdetails und Zierrat an den Häusern - Neidköpfe, Handwerkszeichen, Wappensteine und Jahreszahlen zieren bis heute viele der mittlerweile sanierten Gebäude dieser ersten Bauphase. Nicht nur die prächtigen und verspielten barocken Zierfachwerke der Häuserfassaden, auch die Innenausstattung der bürgerlichen Wohnhäuser werden dem Zeitgeschmack entsprechend ausgestaltet. Aus dieser Zeit sind heute noch prächtige Stuckdecken in zwei Gebäuden in der Kurzen sowie der Schmidener Straße erhalten, geschaffen von Heinrich Waiblinger, dem Schöpfer der prächtigen Stuckkanzel der Nikolauskirche, der unter anderem auch an der Ausgestaltung des Klosters Adelberg beteiligt war.

Der „Anfang zur neuen Stadt“ (Zacher) war also ein schwierige und langwieriger. Es sollte fast 200 Jahre dauern, bis die Wunden des Stadtbrandes von 1634 geheilt und Waiblingen wieder aufgebaut war. Viele Gebäude, die Waiblingen vor der Zerstörung prägten, wie das Schloss oder das Beginenhaus vor den Toren der Stadt, sind nicht wiedererstanden - die Narben des Dreißigjährigen Krieges sind heute noch sichtbar.

Doch nicht nur die baulichen Kriegszerstörungen galt es zu beseitigen, auch moralisch musste Württemberg, traumatisiert von den unvorstellbaren Grausamkeiten der Soldateska und den bitteren Armutsjahren der Nachkriegszeit, wieder aufgerichtet werden. Ab 1654 wurden in jeder größere Ortschaft des Herzogtums die ‚Kirchenkonvente‘ eingeführt. Dieser Ausschuss regelte nach strengen Vorgaben alle Belange, kirchliche und kommunale, und wachte über Recht und Ordnung. Von den Strafgeldern, die bei Verstößen gegen die Konventsordnung verhängt wurden und den Gebühren für die Vergabe der Kirchenstühle an die Honoratiorenfamilien der Stadt wurde die Armenkasse gespeist und damit bedürftige Haushalte unterstützt. Die Protokolle der Kirchenkonventssitzungen bieten Einblick in das Waiblinger Alltagsleben der damaligen Zeit.

So musste die völlige Arbeitsruhe an Sonn- und Feiertagen überprüft werden, nur wenigen Personen wie Müllern und Kuhhirten waren Ausnahmen zugestanden. Zuwiderhandlung führte, ebenso wie ‚Geschwätz‘, Schlaf oder Unaufmerksamkeit während des Gottesdienstes, zu Geld- oder sogar Haftstrafen.

Auch die Verwaltung der Armenkasse musste organisiert werden. Der Kirchenkonvent entschied, wer Naturalien in Form von Lebensmitteln, Kleidern oder Schuhen erhielt, wer mit Geld unterstützt wurde und wessen Begräbniskosten von der Armenkasse übernommen wurden.

Unzucht mit Schutzbefohlenen, Personal oder einquartierten Militärs, ungebührliche Feiern von Handwerksgesellen, unflätiges Tanzen auf dem Feld, Hurerei, verbotenes Kartenspiel, die Geburt von unehelichen Kindern, Ehestreitigkeiten, regelmäßiger Schulbesuch, die Einhaltung von Hygienestandards, ja sogar die Abhandlung von abergläubischen Ritualen all das wird argwöhnisch vom Kirchenkonvent überwacht und mit drakonischen Strafen geahndet, wobei die Bespitzelung auch nicht vor der Haustüre Halt machte und Denunziation an der Tagessordnung war.

Abb. Header: Stadtansicht um 1700, Quelle: Archiv der Stadt Waiblingen