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Ein Blick in unsere abergläubische Vergangenheit
von Wolfgang Wiedenhöfer

Wir müssen nur vier oder fünf Generationen in unseren Stammbäumen zurückschauen, um einen Blick in eine Zeit werfen zu können, in der das Alltagsleben der Bevölkerung noch stark von Aberglauben geprägt war. Galt es doch, alles was man zwar sah und erlebte, aber nicht rational erklären konnte, irgendwie zu verstehen und zu verarbeiten.

Anschauliches Beispiel für lokalen Volksglauben sind unsere Waiblinger Neidköpfe, diese finster dreinblickenden, bleckenden, verzerrten Gesichter an vielen Mauern der Waiblinger Altstadt, die böse Mächte abschrecken und so das Haus und dessen Bewohner vor jeglicher Unbill schützen sollten. Die sogenannte „weiße Magie“, eine volkstümliche Form bewusster Zauberhandlung und magischer Rituale mit dem Ziel, Schutz und Heilung für Mensch und Tier, aber auch Ernte, Haus und Hof zu erwirken, war bis in die Neuzeit weit verbreitet.

Bei Sanierungsarbeiten am Haus Zwerchgasse 5 wurde ein handbeschriebenes Brieflein gefunden, das säuberlich zusammengerollt in eine Spalte des Fachwerks gesteckt war. Doch was stellte dieses Schriftstück dar? Heimatvereinsmitglied Raimund Gwosdz hat versucht, die alte Schrift zu entziffern, und ist dabei tief in die alte deutsche Sprache eingetaucht. Offensichtlich handelt es sich um Zaubersprüche und Segensformeln, die den Hausbewohnern im Alltag und bei der Feldarbeit, aber auch dem Gebäude selbst Schutz bieten sollten.


Der Waiblinger 'Hexenbrief' (privat)

Vorderseite des Briefleins zum download 

Rückseite des Briefleins zum download 

Der „Hexenbrief“, den uns Familie Brandstetter freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat, wird an dieser Stelle erstmalig veröffentlicht. Insgesamt lassen sich 15 verschiedene Segenssprüche identizifizieren, kenntlich an drei XXX am Ende des jeweiligen Spruchs. Zu finden waren unter anderem ein Wurmsegen, ein Kindersegen, ein Brotsegen und ein Segen bei Blutungen.

Wurmsegen
Gott der Herr gien zacker
in einen steinigen acker er tad
3 fürch er fand 3 würm der Er (st?)
ist der geiß Wurm der
andere ist der streit wurm
der 3te ist der hahr wurm hahr
wurm zieh aus von des Menschen
fleiß (= Fleisch?) XXX

Kindersegen oder Segen gegen Brand
XXX Gott der Herr zoch
über Land er sahe (?) ein
Hauslein berein (?) darin da sind
viel kleine Kind Gott der Herr
sengende (seegnede?) den Brand daß nicht
umfras daß nicht einfras
daß weder Hitz noch Brand XXX

Brotsegen
Brod die erste strach(?) wir
wollens vertheilen die andere
strach(?), wir wollens schneiden
die 3te strach(?) wir wollens
meiden XXX

Segen bei Blutungen
XXX für das Blut gestellen /stillen(?)
Es stunden 3 Jlgen (=Lilien)(?) auf unsers
Herr Gotts grab die Erste ist
gütig 2te lang mütig die 3te
ist Gottes will blut stehe still XXX

Informationen und Links 1

Informationen und Links 2

Informationen und Links 3


In diesem Haus in der Zwerchgasse 5 wurde der 'Hexenbriefl' gefunden (Foto: Wiedenhöfer)