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von Wolfgang Wiedenhöfer

Durch den Verlust des Stadtarchivs beim Großen Stadtbrand 1634 ist es schwierig, auf schriftliche Hinterlassenschaften zu stoßen, die aus Waiblingen vor dem Dreißigjährigen Krieg berichten. Zu den wenigen Zeugnissen gehört eine unscheinbare, mit unsicherer Hand eingekratzte Inschrift an der mächtigen Südwand der Michaelskirche. Sie führt uns auf die Spur einer Persönlichkeit, die in der Zeit vor 1614 Mitglied einer der prominentesten Familien in Württemberg war und selbst in Waiblingen lebte: Jakob Frischlin.

Geboren 1557 in Balingen als Sohn des protestantischen Stadtpfarrers, wuchs Jakob, nach dem frühen Pesttod des Vaters, im Haushalt seines Bruders Nicodemus auf. Dieser hatte im Alter von gerade 20 Jahren eine Professur am Stift in Tübingen angetreten und war mit einer Nichte des Reformators Brenz verheiratet, gehörte also zur intellektuellen und politischen Prominenz im Württemberg seiner Zeit.

Jakob, der kleine Bruder, will seinem leuchtenden Vorbild und Vaterersatz in nichts nachstehen, strebt wie Nikodemus die hohen Weihen einer akademischen Laufbahn an. Doch er scheitert: 1578 fliegt er ohne Abschluss von der Universität Tübingen weil er, überstürzt und vermutlich unter dem Druck einer nicht folgenlosen gebliebenen "vorehelichen Vermischung", die Waiblinger Bürgerstochter Ursula Lutz heiratet, ein im damals streng religiös geprägten Universitätswesen unvorstellbarer Umstand und das sichere Karriereende in Tübingen. Statt der theologischen Laufbahn steht ihm nun nur noch eine untergeordnete Karriere als Schulmeister offen, und so kommt er im Jahr 1578 nach Waiblingen an die hiesige Lateinschule. Wie Nicodemus widmet er sich fortan der Schriftstellerei. Doch während die Werke seines Bruders Lob von höchster Stelle erfahren, 1576 wird Nicodemus vom Kaiser ausgezeichnet, finden Jacobs Werke nur mäßige Aufmerksamkeit.

Als sein Bruder aufgrund einer kritischen Schrift beim Herzog in Ungnade fällt, eingekerkert wird und im November 1590 bei einem Fluchtversuch vom Hohenurach abstürzt und sich das Genick bricht, wendet sich auch für Jakob das Blatt zum Schlechten. Die Veröffentlichung von Gedichten wird ihm, sei‘s aus politischen Gründen oder wegen fehlenden Talents, schließlich sogar von höchster Stelle verboten. Im Jahr 1594 verliert er seine Stellung in Waiblingen und tingelt in kurzen Abständen erfolglos durch diverse Schulleiterstellen in kleineren württembergischen Städten, bis er 1621 in geistiger Umnachtung auf dem elterlichen Bauernhof in Balingen stirbt.

Heute noch sichtbare Spuren in Waiblingen hat er durch die Inschrift an der Südwand der Michaelskirche hinterlassen. Mitglieder des Heimatvereins haben die mit unsicherer Hand und auf Lateinisch gesetzten Schriftzeichen 1980 freigelegt und gereinigt, der damalige Dekan Walther Kuenzlen hat die Verse ins Deutsche übersetzt:

Bestattet liegt in diesem Grabe
Ludwig, des Frischlin kleiner Knabe.
Er wartet hier auf deinen Tag,
HERR CHRIST, darauf ich AMEN sag.
Und neben ihrem Bruder gut
die Schwester Apolonia ruht.
Erweck auch sie in deinem Namen,
O HERRE JESUS CHRISTUS, AMEN.

Ein rührendes Zeugnis väterlicher Liebe an seine, wahrscheinlich in Folge der damals grassierenden Pestwellen gestorbenen, Kinder. Verfasst 1585 zu einer Zeit, als Frischlins Stern in Waiblingen schon langsam am sinken war…

Was Jakob Frischlin zu Lebzeiten nicht vergönnt war, an den Erfolg des großen Bruders und Vorbilds Nikodemus heranzureichen, sollte ihm erst posthum, lange Zeit nach seinem Tod, gelingen. 1598 wurde Jakob zum offiziellen Berichterstatter der Hochzeitsfeierlichkeiten von Graf Johann Georg von Hohenzollern und seiner Braut Franzisca, Wild- und Rheingräfin von Salm-Neufville, bestellt. Seine „Hohenzollerische Hochzeit“ ist eine detaillierte Beschreibung höfischer Festkultur in der Spätrenaissance und wird bis heute von Historikern gelesesen und hoch geschätzt als eine der bedeutensten Quellen aus dieser Zeit - während die Werke seine Bruders Nikodemus schnell von den literarischen Moden ihrer Zeit verdrängt wurden.

Abb.: Jakob Frischlin: "Drey schoene und lustige Buecher von der Hohenzollerischen Hochzeyt", Bibliotheca Suevica No. 5, Ulrich Gaier u.a. (Hrsg), erschienen bei Edition Isele, Konstanz (2003)

Weiterführende Literatur:

Kuenzlen, Walter: "Waiblinger Miniaturen";
Verlag BONN ATUELL, Stuttgart (1988)

Bumiller, Casimir: Jakob Frischlin (1557-1621) und die „Hohenzollerische Hochzeit“; In: Schwabwenspiegel. Literatur vom Neckar bis zum Bodensee 1000-1800. Hg. von Ulrich Gaier u.a. Ulm 2003, Aufsatzband S. 89-97

Abbildung oben: Das Amt Waiblingen in einem um 1600 vermutlich von Heinrich Schickhardt angelegten Atlas der Ämter des Herzogtums Württemberg (Ausschnitt); HStAS N 1 Nr. 70 Bl. 8