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Vom Scheitern eines Talents an den Zwängen der Zeit

von Wolfgang Wiedenhöfer
 

Christiane Luise Hummel wurde am 5. April 1776 in Waiblingen als Tochter einer altwürttembergischen Pfarrersfamilie geboren. Nach dem frühen Tod ihres Vaters wächst sie geschwisterlos bei Mutter und Großmutter in Stuttgart in einem protestantisch geprägten Umfeld auf. Ein Großonkel nimmt sich der geistigen Erziehung seiner Großnichte an und fördert sie, indem er ihr den Unterricht bei einem Zeichenlehrer finanziert. 1804 heiratet sie ihren Cousin, den Kupferstecher Christian Duttenhofer, der ebenfalls einer ehrwürdigen Pfarrersfamilie entstammt. Ihr großes künstlerisches Talent, das dem ihres Ehemannes in nichts nachsteht, wird früh erkannt und bewundert, Luise wird vor allem vom bekannten klassizistischen Bildhauer Dannecker künstlerisch gefördert, indem sie in dessen Werkstatt und Antikensammlung zeichnen darf. Doch ist Luise als Tochter des Honoratiorenstandes die Kunst nur für den Hausgebrauch gestattet. Eine Bewerbung zum Studium an der Kunstakademie Stuttgart wird abgelehnt – trotz oder gerade wegen Ihres familiären Hintergrundes. Eine künstlerische Profession für eine Frau die über die weibliche Bestimmung zu Teestündchen, Lesekränzchen und Blumenstecken, hinausgeht, ist damals undenkbar.

Sie entwickelte sich zu einer Meisterin auf dem Gebiet des Scherenschnitts, gilt als beste Vertreterin dieser Kunstform und eine der bedeutendsten Silhouettistinnen ihrer Zeit. Sie hat in ihren Scherenbildern eine Virtuosität erreicht die ihresgleichen sucht, mittels perspektivischer Gestaltung des Fußbodens erzeugt sie eine Räumlichkeit und überwindet dadurch die Zweidimensionalität des Scherenschnitts. Damit gelingt es Duttenhofer erstmalig in der Kunstgeschichte, die die Perspektive in die Papiertechnik einzuführen. Bei den intellektuellen Lesekränzchen des Stuttgarter Bildungsbürgertums begegnet sie fast allen schwäbischen Dichtern ihrer Zeit und weiteren Geistesgrößen. Alle hat Luise Duttenhofer in Portraits geschnitten: Goethe, Schiller, Voß, Uhland, Brentano. An ihren kleinen Kunst-werken waren besonders die satirischen Züge geschätzt und gefürchtet. Auch aus sozialhistorischer Sicht ist ihr Werk bedeutend, da sie oftmals Szenen aus dem Alltagsleben darstellt, sowohl vom Bürgertum als auch aus niederen Ständen. Ein großer Teil ihres umfassenden Werkes befindet sich heute im Schiller-Nationalmuseum in Marbach. 

Abb.:  Luise Duttenhofer: Humoristisches Familienbild (um 1820). Von links nach rechts: Luises Mann Christian Duttenhofer, auf der Schnecke reitend, skizziert einen Faun, der mit einem jungen Mädchen auf den Fühlern der Schnecke herumtanzt, ein Amor mit Pfeil, eine Katze, ein Narr, die Tochter Marie Duttenhofer mit einem Blumenkorb auf dem Kopf, ein fliegender Putto, die beiden Söhne Fritz und Anton Duttenhofer, der spätere Lithograph, auf dem Schaukelpferd, Luise Duttenhofer mit der Schere, dem Attribut ihrer Kunst, zügelt das Schaukelpferd.

Abb. Header: Unbekannter Künstler, Ansicht von Waiblingen (um 1825), Federlithografie; Bestand Archiv der Stadt Waiblingen