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Tierische Haftungsfragen (1909)

Von Wolfgang Wiedenhöfer

Im Jahre 1909 wurde Waiblingen eine Erfindung gemacht, die schon wenige Jahre später millionenfach vom Remstal in die ganze Welt verkauft werden sollte. In Schwärmen fielen damals lästige Stubenfliegen über die frischen Backwaren einer kleinen Konditorei am Waiblinger Marktplatz her. „Wie der Insektenplage Herr werden“ fragte sich der geplagte Bäckereiinhaber – eine Fliegenfalle musste her! Fliegenfallen auf Melassebasis gab es zwar bereits, doch waren die nicht sonderlich ausge-reift: der Film, an dem die Tiere kleben bleiben sollten, tropfe in den warmen Sommermonaten herab, gefror in der kalten Winterzeit und trocknete außerdem schnell aus.

Der visionäre Konditor Theodor Kaiser (1862 – 1930), der bereits Ende der 1880er Jahre mit „Kaisers Brustkaramellen“ einen Verkaufsschlager gelandet hatte und so zu einem der größten Markenhersteller für Bonbons aufgestiegen war, entwickelte einen Fliegenfänger, der hitze- und kältebeständig war und sich durch eine lange Lagerfähigkeit auszeichnete. Ein dünnes Leimband das von Hand mit einer Mischung aus Harz, Honig Gummi und Ölen bestrichen wurde, eine Papphülse zum Schutz des zusammengerollten Klebebandes - Kaisers Erfindung war simpel und massentauglich. Anfangs fertigten einige wenige Frauen in Heimarbeit die ersten Fliegenfänger, die unter dem Markennamen „Aeroplan“ verkauft wurden.

Theodor Kaiser (Foto: Fa. Kaiser)

Bereits 1910 standen am Firmenstandort in der Waiblinger Bahnhofstraße, wo noch heute die Nachfahren Theodor Kaisers in vierter Generation das Unternehmen betreiben, über 100 Menschen in Lohn und Brot. Aufgrund von Markenstreitigkeiten musste Kaiser schon nach kurzer Zeit den Markennamen ändern: in Frankfurt hatten im Juli 1909 auf der ersten Internationalen Luftschifffahrt-Ausstellung die Brüder Wright ihren ebenfalls „Aeroplan“ genannten Flugapparat vorgestellt. Fortan firmierte Kaiser unter „Aeroxon“.

Dank Kaisers Ideenreichtum wurde das Produkt stetig weiterentwickelt. Zum Aufhängen des Fliegenfängers diente Anfangs eine Öse, später ließ sich Kaiser eine genial einfache aber wirkungsvolle Idee patentieren: ein maschinell am Fliegenfänger befestigter Reißnagel zur Anbringung an der Zimmerdecke verhalf dem „Honigfliegenfänger mit dem Stift“ zum Durchbruch. Zu Forschungszwecken richtete Theodor Kaiser im Waiblinger Werk ein „Fliegenzimmer“ ein, die Belegschaft schleppte streichholzschachtelweise Opfer an. Im Herbst, wenn die Forschungsobjekte witterungsbedingt ausblieben, verlegte der Fabrikant kurzerhand seinen Urlaub an die Riviera - einer seiner Reisekoffer enthielt stets eine große Zahl winziger Pappschachteln mit Luftlöchern und Spezialfutter für Fliegen. Vom Hotelpersonal soll er deswegen den Spitznamen „Monsieur L’Attrape-Mouche“, „Herr Fliegenfänger“ erhalten haben.

Produktionsgebäude der Fa. Kaiser in der Waiblinger Bahnhofstraße (Foto: Fa. Kaiser)

Die Firma wuchs rasend schnell, ab 1926 exportierte man auch in Aus-land, 1930 wurde mit 11 Auslandsfilialen die 100-Millionen-Marke an ver-kauften Fliegenfängern überschritten. Aeroxon hatte sich aus der kleinen Waiblinger Backstube zum Weltmarktmarktführer entwickelt. Und die Ideen gingen auch nicht aus: Als in den 1950er Jahren die Nachfrage nach den, vollkommen giftfreien, Kaiser‘schen Leimruten aufgrund des verstärkten Einsatzes von hochgiftigen DDT-Insektensprays zurückging, setzte das Unternehmen kurzerhand auf die sportliche Variante der Fluginsektenbekämpfung und nahm die Fliegenklatsche ins Sortiment.

Abb. Header: Felger, Friedrich, 'Sommertag bei den Kiesgärten' (1910); Bestand Archiv der Stadt Waiblingen